J. Fried u.a. (Hrsg.): WBG Weltgeschichte

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Titel
WBG Weltgeschichte. . Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis ins 21


Herausgeber
Fried, Johannes; Ernst-Dieter, Hehl; Walter, Demel
Reihe
WBG Weltgeschichte III + IV
Erschienen
Darmstadt 2010: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Anzahl Seiten
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Hiram Kümper, Geschichte des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Universität Bielefeld

Weltgeschichte ist seit einigen Jahren wieder in der Diskussion. An älteren Versuchen, eine solche vorzulegen, mangelt es auch nicht. Nun gibt es ein neues, sechsbändiges Werk, das mit dem Anspruch auftritt, eine zeitgemässe Weltgeschichte vorzulegen. Die beiden Vorgängerbände, vor allem der zweite, der die antiken Völker behandelt, haben bereits manche Kritik einstecken müssen. Der Grund sind neben mal mehr, mal weniger Sachkritik im Detail vor allem die Absichtserklärungen im Vorwort des Gesamtwerkes. Dass diese nicht eingeholt werden, in dieser Form vielleicht auch gar nicht eingeholt werden können, wird den Herausgebern nun von vielen Seiten zum Vorwurf gemacht; in gewisser Weise natürlich auch zu Recht. Für die hier zu besprechenden Bände III und IV des Gesamtwerkes – das darf vorausgeschickt werden – scheint diese Kritik nicht immer angebracht. Die beiden Bände behandeln das 5. bis 18. Jahrhunderts unserer Zeitrechnung, nach konventioneller Epochenlesart also die Zeit vom frühen Mittelalter bis zum Ende der frühen Neuzeit. Daran, die mit einander zu verzahnen, gewöhnen sich Mediävistik und Frühneuzeitforschung gerade erst wieder. Dass das auch in welthistorischen Dimensionen möglich sei, wäre ein interessanter Befund.

Der dritte Band behandelt die Zeit zwischen 600 und 1500 n. Chr. unter dem Obertitel Weltdeutungen und Weltreligionen. Diese schon im Titel anklingende Engführung nimmt auch die Einleitung des für diesen Band verantwortlichen Herausgebers, Ernst-Dieter Hehl, wieder auf, ja er verengt sie im Grunde noch einmal: seine Rahmung nämlich ist fast ausschliesslich eine Christentumsgeschichte, mit Seitenblicken nur insofern interreligiöse Kontakte betroffen sind. Letzteres wird erst weiter hinten im Band, in den Beiträgen von Helwig Schmidt-Glintzer (zugleich Herausgeber des Gesamtwerkes) zu Ostasien und Walter Slaje zur indischen Kultur, einigermassen wieder eingeholt; die politische Geschichte Ostasiens und des indischen Subkontinents behandeln ferner Achim Mittag und Annette Schmiedchen. Thematisch erklärt sich die weitgehende Engführung auf Religion und Weltdeutung ferner aus einer gewissen chronologischen Überschneidung mit dem Folgeband der Weltgeschichte, auf den später noch einzugehen sein wird.

Die Grobgliederung dieses dritten Bandes ist dreigeteilt, nämlich unter die Titel «Vielfalt der Welt», «Ordnung der Welt» und «Deutung der Welt». Unterhalb dieser Grosseinteilung stehen dann die zahlreichen Einzelkapitel, die jeweils von unterschiedlichen Verfasser(inne)n bearbeitet wurden. Sehr schön wird in diesem Band deutlich: «Der Islam und die Mongolen sind im ‹Mittelalter› die eigentlichen Träger der politisch großräumigen Vernetzung» (Hehl im Vorwort, 2). Entsprechend ist ihre Vernetzung mit den christlichen Kulturräumen die Grosserzählung, die diesen Band trägt. Die beiden Amerikas werden ausgeklammert mit dem Hinweis, sie lägen «noch außerhalb dieses Kommunikationsnetzes » (14). Das südliche Afrika, das selbstverständlich in Sachen Überlieferung Historiker vor ganz besondere Schwierigkeiten stellt, wird immerhin durch einen etwas mehr als zehn Seiten langen Beitrag von Dierk Lange thematisiert.

Der Gesamteindruck bleibt schwankend, wenn es um die Frage nach der Weltgeschichte geht. Hier haben fachlich absolut ausgewiesene Mediävisten eine solide mediävistische Geschichtsdarstellung vorgelegt, garniert mit einigen Seitenblicken auf die beiden Grosskulturen Ostasien und Indien. «Solide» heisst seit den erfreulichen Entwicklungen der letzten beiden Jahrzehnte beinahe selbstverständlich: auch unter Einschluss von Judentum und Islam. Aber ob das dann tatsächlich schon Weltgeschichte ist? Hier und da klingt es an: etwa in Felicitas Schmieders inspirierend-unprätentiösen Überlegungen zum Mongolenreich als «kulturvernetzender Faktor der Weltgeschichte» (197ff.). Hier wird ohne das rhetorische Gepränge eines vorgeblich vollkommen neuen Blicks auf die Geschichte der Menschheit, an dem sich manche Kolleginnen und Kollegen in ihren Besprechungen so gestossen haben, sehr klar auf die Transferwirkungen der mongolischen Expansion eingegangen.

Auch der vierte Band ist in seiner Grobstruktur dreigeteilt: die (deutlich weniger, dafür aber umfangreicheren) Einzelkapitel werden hier unter den Dächern «Demographie, Technik und Wirtschaft», «Herrschaft und politische Ideen» und «Kultur, Religion und Sozialisation» gebündelt. Als Obertitel des gesamten vierten Bandes wurden «Entdeckungen und neue Ordnungen» gewählt, die als das Gepräge der dargestellten Zeit zwischen ca. 1200 und 1800 n. Chr. angesehen werden; als Herausgeber fungiert hier Walter Demel. Mit der Titelgebung wird schon deutlich: dieser und der vorhergehende dritte Band überlappen einander chronologisch. Denn dieser Band befasst sich in lediglich zwei Kapiteln mit religiösen Fragen (nämlich Konfessionalisierung und christliche Mission), widmet sich ansonsten der politischen Geschichte, der Technik- und Wissensgeschichte, der Sozialstruktur und der Wirtschaftsgeschichte im weitesten Sinne.

Gerade in Fragen der Landnutzung, der Technik und der Entwicklung des Wirtschaftlebens beschreibt dieser vierte Band eine Epoche, in der sich Europa durchaus noch nicht als Hegemonialmacht verfestigt hatte. «Nur auf wenigen der angesprochenen Gebiete», so Demel in seiner Einleitung, «besaß Europa vor 1800 gegenüber anderen Kulturen einen klaren Vorsprung» (2f.). Marcus Popplow und Reinhold Reich beschreiben diese Entwicklung und den «europäischen Sonderweg» sehr illustrativ in ihrem an einzelnen Regionen und gewerblichen Zentren orientierten Beitrag zum technischen Wandel. Wie schon im Vorgängerband sind auch hier regelmässig drei Zentren der Betrachtung auszumachen: China, Indien und Europa. Das hat wohl auch seinen Grund. Norbert Ortmayr beschreibt sie in seinem Beitrag über die demographische Entwicklung der Weltbevölkerung als die drei «Dichte-Zentren», die im dargestellten Untersuchungszeitraum rund 60 bis 70 Prozent der Weltbevölkerung auf lediglich 10 Prozent der Landmasse der Erde beherbergten (13). Besonders hervorzuheben ist schliesslich Stefan Ehrenpreis’ löblicher Versuch, sein Thema «Erziehung, Bildung und Wissenschaft» in tatsächlich globaler Perspektive, also unter Einschluss nicht nur der islamischen Welt, Chinas und Indiens, sondern auch Japans und der südafrikanischen Reiche, zu behandeln.

Beide Bände sind – wie auch alle anderen des Gesamtwerkes – gefällig gesetzt, sparsam illustriert, aber (viel wichtiger) mit einer Reihe gut gemachter Karten ausgestattet. Eine Einleitung und ein abschliessender Ausblick des bzw. der jeweiligen Herausgeber fungiert als Rahmen, ein Literaturverzeichnis mit einer knappen Auswahl einschlägiger Literatur zu den jeweiligen Beiträgen sowie eine Chronologie und Personen- und Orts-, leider kein Sachregister runden die Bände jeweils ab.

Die vehemente Kritik, die andere Bände der WBG-Weltgeschichte haben einstecken müssen, wird die beiden hier vorliegenden Bände aller Voraussicht nach nicht treffen. Sie sind solide bearbeitet, fachlich versiert und jargonfrei verfasst, sodass das geschichtsinteressierte (nicht so sehr das wissenschaftliche) Publikum, auf das diese Bände abzielen, fraglos erreicht werden dürfte. Für diesen Leserkreis ist ein sehr einleuchtendes, verständliches, informatives, schlicht: lesenswertes Werk entstanden. Dass die hohen Ansprüche, mit der das Gesamtwerk auftritt, auch hier nicht eingelöst werden, steht auf einem anderen Blatt. Hätte man bescheidener von «Europa und der Welt» oder «europäischer Geschichte in welthistorischer Perspektive» gesprochen, und damit der Einsicht Rechnung getragen, dass Europa ohne Ausser-Europa kaum denkbar ist, man hätte sich vermutlich weniger Schwierigkeiten eingehandelt. Für die wissenschaftliche Verwendung jedenfalls wird das Werk angesichts der bewusst schmalen Belege und Literaturnachweise und der sehr verknappten Zitationsweise ohnehin nicht geeignet, wohl auch nicht angelegt sein. Aber für einen Blick jenseits des europäischen Tellerrands und damit eine neue, fundiertere Geschichte Europas: allemal.

Zitierweise:
Hiram Kümper: Rezension zu: WBG Weltgeschichte. Eine Globalgeschichte von den Anfängen bis ins 21. Jahrhunderts. Bd. III: 600 bis 1500, hg. von Johannes Fried/Ernst-Dieter Hehl, Bd. IV: 1200 bis 1800, hg. von Walter Demel, Darmstadt, WBG, 2010. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte, Vol. 105, 2011, S. 588-589.

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